Erntegut-Urteil sorgt für Ärger
Nachbaugebühren: Verunsicherung für Landwirtschaft und Handel.
Bereits im vergangenen November fällte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ein Urteil, das sich inzwischen als folgenreich für Pflanzenzüchtung, Landhandel und landwirtschaftliche Interessens-vertretungen erweist, vor allem aber Bauern und Bäuerinnen jetzt kurz vor der Ernte zusätzlich belastet und verunsichert.
Mit dem sogenannten Erntegut-Urteil erhofft sich der Bundesverband der deutschen Pflanzenzüchter (BDP) in Verbindung mit der, seine finanziellen Interessen durchsetzenden Saatgut-Treuhandverwaltungs-GmbH (STV) offenbar, über eine Hintertür alle umfassenden Anbaudaten landwirtschaftlicher Betriebe zu bekommen, auch um endlich Nachbaugebühren kassieren zu können.
Dabei ging es in dem entsprechenden Fall überhaupt nicht um Nachbau. Durch eine Hofkontrolle der STV, die der entsprechende Betrieb wahrscheinlich noch nicht einmal hätte zulassen müssen, erfuhr die STV von Sortenschutzverletzungen, weil Landwirt:innen schwarz Erntegut als Saatgut gehandelt hatten. Die Ernte daraus wiederum verkauften sie an einen Landhändler vor Ort, der nun von der STV gleich mitverklagt wurde. Unterlassung und Schadenersatz kamen auf Landwirt:innen und Händler zu.
Die Verfahren wanderten bis zum BGH nach Karlsruhe. Dort hatten die Richter vor allem die Frage zu klären, ob der Landhändler sich auf „Nichtwissen“ berufen konnte, als er das Erntegut aufkaufte, das aus dem Schwarzhandel aufgewachsen und damit nicht legal erzeugt war. Der BGH entschied, dass der Landhändler eine Erkundigungspflicht habe, der er nicht nachgekommen sei, als er das Getreide annahm. Wie nun aber so eine Erkundigungspflicht auszusehen habe, wie der Händler hätte reagieren sollen, als der Bauer mit seinem Hänger voll Getreide vor ihm stand, dazu sagen die Karlsruher Richter nichts.
Umstrittene Drohung mit Vertragsstrafen
Gespräche der Beteiligten hinter den Kulissen scheiterten. Dann legten die Dachverbandsorganisationen des genossenschaftlichen wie auch des freien Landhandels Mustererklärungen vor, in denen von den Bauern und Bäuerinnen nicht nur verlangt wird, dass sie mit ihrer Unterschrift bestätigen sollen, keine sortenschutzrechtlichen Verletzungen begangen zu haben, sondern ihnen auch unter anderem mit Vertragsstrafen gedroht wird.
Das ist allerdings in der Händlerszene wie auch unter ihren eigenen Juristen höchst umstritten. Die Rechtsprechung des BGH gebe eine so weitgehende Ausforschung gar nicht her, so die Einschätzung von Jens Beismann, Anwalt der Interessengemeinschaft gegen die Nachbaugebühren und Nachbaugesetze (IG Nachbau), die sich seit inzwischen seit fast 30 Jahren juristisch und politisch mit dem Thema auseinandersetzt.
Es geht immer noch um ein Verhältnis zwischen Kundschaft und Dienstleistern.
Georg Janßen
Er warnt aus gegebenem Anlass einmal mehr davor, arglos STV-Kontrolleur:innen auf den Hof zu lassen und unter Umständen viel zu viel offenzulegen. Beismann rät zudem davon ab, diese weitreichenden, sich an den Dachverbandsempfehlungen orientierenden Händlererklärungen nicht zu unterschreiben. Inzwischen empfiehlt das auch der Bauernverband. Es herrscht Verunsicherung unter den Landhändler:innen und Genossenschaften, von denen sich viele durchaus ihrer bäuerlichen Kundschaft verpflichtet fühlen.
Mit dem Landhandel ins Gespräch gehen
Die Raiffeisenwarengenossenschaft (RWZ) in Köln ließ sich zunächst von der STV treiben. Sie formulierte nicht nur Strafandrohungen, sondern auch, dass man das gelieferte Getreide nicht bezahlen werde, wenn die Erklärung nicht unterschrieben werde. Die IG Nachbau beauftragte daraufhin einen Kartell-rechtsanwalt, dagegen vorzugehen. „Wir sehen in dem Vorgehen der RWZ einen Missbrauch der Marktmacht“, heißt es in der IGN-Stellungnahme. Die Reaktion der RWZ ließ nicht lange auf sich warten.
Sie schrieb nun an ihre Kundschaft: „Für alle Mitglieder der Wertschöpfungskette ist dies rechtliches Neuland. Die praktische Umsetzung des jüngsten BGH-Urteils ist mangels konkreter Vorgaben den Händlern überlassen. ln unserem ersten Schreiben sind wir bezüglich der Auslegung der finanziellen Konsequenzen für solche Geschäftspartner, die uns die erbetene Bestätigung nicht schicken, möglicherweise nicht optimal vorgegangen.“ Im aktualisierten Schreiben findet sich die Androhung von Vertragsstrafen oder der Nichtbezahlung der Ernte nicht mehr. IG Nachbau und Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft begrüßen die Entwicklung.
„Es kommt nun darauf an“, so IG-Nachbau-Geschäftsführer Georg Janßen, „dass alle Agrarhandels-unternehmen im Bundesgebiet ihre schon im Umlauf befindlichen oder geplanten Lieferantenerklärungen überarbeiten und mit den Landwirt:innen vor Ort zusammen eine gute, unbürokratische Lösung finden. Erfreulicherweise haben sich schon einige Agrarhandelsunternehmen im Bundesgebiet dazu bereit erklärt.“ Zwischenzeitlich bleibt den Bauern und Bäuerinnen noch die Möglichkeit, zumindest die strittigen Passagen in den Schreiben zu streichen oder auch eigene Formulierungen zu verwenden. Wichtig ist, mit den Landhändlern vor Ort ins Gespräch zu gehen, schließlich geht es immer noch um ein Verhältnis zwischen Kundschaft und Dienstleistern.
STV fordert Erntegutbescheinigung
Zwischenzeitlich machte die Züchterseite in einer Presseveranstaltung klar, wie BDP und STV das BGH-Urteil auslegen. Im Urteil sei eine „verschuldensunabhängige Haftung“ der aufnehmenden Hand von Erntegut, also der Landhändler, neben der Erkundigungspflicht festgeschrieben, so STV-Geschäftsführer
Moritz von Köckritz. „Der Handel muss sicherstellen, dass entweder Z-Saatgut eingesetzt oder eine Nachbauerklärung abgegeben wurde.“ Eine Selbsterklärung, bei der nur ein sortenschutzrechtskonformes Verhalten abgefragt werde, reiche aus seiner Sicht nicht aus.
Damit erteilt er dem, womit der Landhandel auch auf Empfehlung seiner Dachverbandsorganisationen in den vergangenen Wochen begonnen hatte, eine Absage. Stattdessen empfiehlt er die Nutzung eines von der STV bereitgestellten Online-Tools zur Erstellung einer sogenannten Erntegut-Bescheinigung. Bauern und Bäuerinnen erhalten sie nach Eingabe aller Anbaudaten, wenn man entweder die Nachweise für die gemachten Angaben in Form beispielsweise des Agrarantrags hochgeladen hat oder mit seiner Unterschrift Vor-Ort-Kontrollen der STV zulässt.
Das Instrument soll endlich dafür sorgen, dass in einem nennenswerten Umfang die Nachbaugebühren in den Kassen der Züchtenden landen. Stephanie Franck, Vorsitzende des BDP und im Verwaltungsrat der STV, betont, dass keine Daten zwischen den beiden Organisationen ausgetauscht würden. Besonders glaubhaft wirkt das schon durch ihre Doppelfunktion nicht.