Je kleiner die Fläche, desto mehr Leben darauf

Von Stephanie Lehmann | Gepostet am 09.01.2024

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Biokreis-Betriebe tun viel für die Artenvielfalt. Hier stellen wir Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität vor – gedacht zur Inspiration und Nachahmung! 

Die Landwirtschaft in Brandenburg und in anderen östlichen Bundesländern ist von flächenreichen
Betrieben mit großen Schlägen und schweren Maschinen geprägt. Der Bauernhof Weggun in der Uckermark ist da ganz anders: Der Biokreis-Betrieb mit Beerenobstanbau, Hühnerhaltung und Mutterschafhaltung achtet auf kleinteilige Flächenstrukturen und stabile Ökosysteme. Mit 25 Schlägen auf insgesamt 35 Hektar hat hier jeder Schlag seine eigene Dynamik und ist an die Bodenbeschaffenheit angepasst.

Damit geht der Betrieb einen Weg, der besonders förderlich für die Biodiversität ist. Das bestätigte
2021 eine Studie von Prof. Dr. Teja Tscharntke, Professor für Agrarökologie an der Georg-August Universität Göttingen. Er stellt fest, dass eine Reduzierung der mittleren Feldgröße pro Landschaft von sechs Hektar auf einen Hektar zu einer sechsfach höheren Artenzahl führt. Die Studie empfiehlt daher dringend eine Diversifizierung der Landwirtschaft durch möglichst kleinräumige und vielfältige Anbauflächen.

Im Folgenden geben wir in Zitaten Einblicke in die Erfahrungen vom Bauernhof Weggun, erzählt
von Betriebsleiter Frank van der Hulst, und in die Ergebnisse der Studie von Prof. Tscharntke.

Homogene Landschaften führen zum Verlust von Biodiversität

Erfahrungen aus der Praxis von Frank van der Hulst:

Als wir 2009 angefangen haben, hatten wir 15 Hektar – in einem einzigen großen Schlag*. Das war aber noch der kleinste Schlag in der Umgebung. Die Schläge unserer Nachbarn hier sind eher zwischen 50 und 130 Hektar groß. Unsere Fläche ist ein Teil von insgesamt 60 Hektar zusammenhängender Fläche. Auf diesen 60 Hektar wurden früher immer die gleichen drei Kulturen angebaut. Weil wir da sind, stehen da jetzt 15 Kulturen. Es hat Einfluss gehabt, was wir gemacht haben.

*Ein Schlag ist in der Landwirtschaft eine zusammenhängende Fläche, die einheitlich mit einer
Kultur bebaut wird.

Das sagt die Studie von Prof. Teja Tscharntke:

In den letzten Jahrzehnten verringerte sich die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe drastisch und die landwirtschaftlich genutzten Felder und Betriebe wurden stetig größer. Es fand eine zunehmende Spezialisierung auf wenige Kulturarten statt, und naturnahe Lebensräume wurden zerstört, was zur Homogenisierung ehemals vielfältiger Kulturlandschaften und damit zu dramatischen Biodiversitätsverlusten führte.

Zurück zur Strukturvielfalt

Erfahrungen aus der Praxis von Frank van der Hulst:

Vor zehn Jahren haben wir die erste Hecke gepflanzt und gemerkt, wie positiv sich das auf die ökologische Stabilität auswirkt. Anfangs hatten wir noch eine richtige Plage an Schadinsekten, zum Beispiel Läusen. Das ist zurückgegangen, seit wir die Hecke haben. Aufgrund dieser Erfahrung ist bei uns das Bewusstsein dafür gewachsen, dass die Biodiversität wesentlich ist: Je komplexer das ganze System, desto stabiler ist es auch. Kleinteilige Flächen sind geprägt von den Grenzen, den Übergängen zwischen den Bereichen. In diesen Grenzregionen gibt es immer auch Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Besonders effektiv ist die kleinräumige Gestaltung dann, wenn wir zusätzlich Hecken pflanzen, denn die helfen auch gegen Wind und Austrocknung.

Das sagt die Studie von Prof. Teja Tscharntke:

Der Schlüssel zur Wiederherstellung der Biodiversität in großem Maßstab ist ein kleinräumiges Landnutzungsmosaik mit Feldern, deren Größe im Mittel deutlich unter sechs Hektar liegt, und durch eine Erhöhung der Kulturpflanzenvielfalt sowohl zeitlich (durch lange Fruchtfolgen) als auch räumlich (durch Mischkulturen, Streifenanbau etc.).

Luftbilder der Parzellenstruktur eines Bauernhofes
Luftbild vom Bauernhof Weggun aus dem Jahre 1953. Bild: BrandenburgViewer

Erfahrungen aus der Praxis von Frank van der Hulst:

Früher sind alle Schläge am Hof genau der Bodenbeschaffenheit folgend angelegt worden. Jede Fläche wurde anders behandelt. Das ging, weil damals noch kleinteilig mit Pferden gearbeitet wurde. Heute ist das so nicht mehr möglich. Aber ich sehe immer noch genau, wo die Übergänge waren. Es hilft, sich von der früheren Aufteilung inspirieren zu lassen und zu verstehen, warum auf welchen Flächen welche Probleme auftauchen. Heute sind unsere Flächen gerade und eckig. Wir gestalten auch die natürlichen Elemente – Hecken und Gräben – gerade, damit die Bearbeitung mit Maschinen einfach ist.

Die vielen kleineren Schläge mit vielen unterschiedlichen Kulturen bewirken, dass das Ökosystem bei einer Störung, zum Beispiel durch Klimaveränderungen, relativ schnell wieder ins Gleichgewicht kommt. Das Ökosystem passt sich einfacher verändernden Gegebenheiten an. Wir sehen, dass Pflanzen besser wachsen und weniger von Trockenheit betroffen sind. Wir haben auch eine Vielfalt an Vögeln und Insekten, die uns wirklich hilft.

In unserer Obstplantage können wir komplett auf biologischen Pflanzenschutz wie Schwefel oder Kupfer verzichten. Dass das möglich ist, hat bestimmt auch mit dem Standort zu tun. Aber diesen Standort insgesamt zu beurteilen und anzuschauen, hat uns dazu geführt, es so einzurichten, wie es jetzt ist. Die Vielfalt der Flächen und Kulturen hat auch eine wirtschaftliche Vielfältigkeit zur Folge. Und die führt zu mehr wirtschaftlicher Stabilität, wie wir bemerkt haben.

Das sagt die Studie von Prof. Teja Tscharntke:

Die Anbau-Diversifizierung benötigt eine Entwicklung neuer Anbautechniken und Vermarktungswege, führt aber auch zu wirtschaftlicher Risikominderung und erhöhten biologischen Leistungen durch Bestäubung und Schädlingskontrolle.

Luftbilder der Parzellenstruktur eines Bauernhofes
Luftbild aus dem Jahre 1995. Bild: BrandenburgViewer

Luftbilder vom Bauernhof Weggun aus den Jahren 1953, 1995 und heute: Besonders interessant ist das Bild von 1953, aufgenommen noch vor der Zwangskollektivierung in der DDR. Zu sehen ist eine Vielfalt an Parzellen, genau der Bodenbeschaffenheit folgend. Hier gab es noch viele Gräben und Landschaftselemente. Seit 2009 sind Marjolein und Frank van der Hulst auf der Fläche. Ihre Parzellen folgen teils wieder der natürlichen Bodenbeschaffenheit. Inzwischen haben sie fast drei Kilometer Hecken und fast 120 Bäume gepflanzt. Damit Wasser mehr Platz auf den Flächen findet, wurden in zwei Abschnitten Gräben angelegt.

Luftbilder der Parzellenstruktur eines Bauernhofes
Aktuelles Luftbild vom Bauernhof Weggun. Bild: BrandenburgViewer

Quelle: Prof. Teja Tscharntke „Bedeutung einer vielfältigen und kleinteiligen Agrarstruktur für die Biodiversität und ihre Förderung im Rahmen der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP)“. Universität Göttingen 2021.

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Stephanie Lehmann

Die Autorin arbeitete beim Biokreis e.V. in den Bereichen Öffentlichkeits- und Projektarbeit.