Das “Geflügelpapier” und seine Auswirkungen

Von Gastautor:in | Gepostet am 06.08.2024

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Öko-Geflügelhaltung in Deutschland: Was ist 2024 neu und worauf müssen sich die Betriebe einstellen?

2022 ist die neue EU-Bio-Verordnung in Kraft getreten. Sie brachte besonders viele Änderungen für Geflügelbetriebe und damit auch Fragen für die Umsetzung. Die Geflügel-AG der Länderarbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau (LÖK) hat in Zusammenarbeit mit dem Fachausschuss Geflügel des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) zu 54 Punkten Auslegungshinweise erarbeitet und an Verbände und Kontrollstellen weitergegeben.

Diese lange Liste ist ein Ergebnis langjähriger Diskussionen, die eine bundeseinheitliche Auslegung des Ökorechts zum Ziel hatte. Der kritischen Prüfung durch die EU-Kommission hat diese Auslegungsliste nicht standgehalten: zu ausführlich, zu lang und in manchen Punkten überinterpretiert… Eine echte Kehrtwende weg von immer detaillierteren Auslegungen und eine Chance für mehr Spielräume bei der Umsetzung. Inzwischen wurde das „Geflügelpapier“ überarbeitet und auf 13 Punkte zusammengekürzt. Sie werden im Folgenden dargestellt und in kursiver Schrift in ihren Auswirkungen bewertet. Im Fokus stehen die beiden Themenbereiche „Stall“ sowie „Weide und Auslauf“ für Junggeflügel.

Themenbereich Stall

Mehretagensystem (Volierenhaltung): Die Verordnung erlaubt maximal zwei zusätzliche Ebenen über der Bodenfläche, was insgesamt drei Ebenen ergibt. Ab dem 1. Januar 2030 ist eine vierte Ebene nicht mehr zulässig und soll sogar zurückgebaut werden. Wir im BÖLW setzen uns dafür ein, dass die vierte Ebene als Luxusfläche zum Wohl der Tiere erhalten bleiben kann, auch wenn sie nicht mehr angerechnet werden kann.

Entmistung des Stalles: Kotbretter unter begehbare Ebenen gelten als „effiziente Entmistung“. Somit ist es möglich, Ebenen als begehbare Flächen für die Besatzdichte anzurechnen, wenn sich ein Kotbrett unter den Ebenen befindet.

Themenbereich Weide und Auslauf für Junggeflügel

Auslaufgewährung: Geflügel muss grundsätzlich Auslauf gewährt werden, wann immer die Witterungsbedingungen, Jahreszeit und der Zustand des Bodens es erlauben. Ausnahmen sind also nur bei extremen Witterungsbedingungen wie Sturm oder starken Niederschlägen und infolgedessen extremer Nässe möglich oder wenn der physiologische Zustand der Tiere es nicht zulässt. Es muss wie bisher ein Auslaufjournal geführt werden, in dem die Gründe für die befristete Aufstallung dokumentiert sind. Die EU-Öko-Verordnung gibt keine klare Grenze vor, wann der Auslauf verwehrt bleibt. Damit haben Geflügelhaltende einen Spielraum, aktuelles Recht positiv im Sinne der Tiergesundheit auszulegen.

Die neuen Auslegungshinweise stellen viele geflügelhaltenden Bio-Betriebe vor erhebliche Herausforderungen. Der Grünauslauf muss, egal bei welcher Tierart, mitgedacht werden. Innovationskraft ist gefragt und Selbstvertrauen in die eigene Beurteilung des Tierzustandes (gegebenenfalls mit Hilfe des Tierarztes oder der Beratung) und der Bedingungen auf dem Hof.

Zugang zu Freigelände für Junggeflügel: Junggeflügel muss ab einem geeigneten physiologischen Alter und bei geeigneten physischen Bedingungen (Witterung, Bodenverhältnisse, Jahreszeit) tagsüber uneingeschränkten Zugang zu einem Freigelände haben. Bestehende Aufzuchtställe, die noch kein Freigelände vorweisen, haben eine Übergangsfrist bis spätestens 31. Dezember 2030, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Das Junggeflügel muss also so früh wie möglich in den Grünauslauf. So früh wie möglich hängt nach EU-Öko-VO vom physiologischen Alter und den physischen Bedingungen ab. Die Kombination aus beidem, Alter und physische Bedingungen, führt dazu, dass es keinen einheitlichen Zeitpunkt für die Auslaufgewährung gibt. Es ist also möglich, dass Junggeflügel im Sommer ab einem sehr frühen Lebensalter in den Grünauslauf muss, wobei im Winter die Öffnungen zum Grünauslauf länger verschlossen bleiben dürfen. Der geflügelhaltende Betrieb muss nachvollziehbar der
Ökokontrollstelle aufzeigen, warum er wie handelt.

„Bei der Aufzucht von Junggeflügel muss von Anfang an Freigelände am Stall bereitgestellt werden, auch wenn dieses noch nicht genutzt wird“, sagen die Bundesländer. Diese Vorgabe ist völlig unverständlich und trifft viele Öko-Aufzüchter. Wir halten sie für unsinnige Bürokratie und für nicht von der Öko-Verordnung gedeckt. Sie bewirkt, dass bei Ställen mit sehr jungem Geflügel Auslauf vorgehalten werden muss, der aber von den Tieren ohnehin nicht genutzt wird, da sie noch zu klein sind und da die Tiere
rechtzeitig in Ställe mit Grünauslauf umgestallt werden. Wir setzen uns weiter dafür ein, dass die bisherige Praxis der Voraufzuchten fortgeführt werden kann. Allerdings gilt Stand heute, dass keine neuen Voraufzuchtställe für Junggeflügel ohne Grünauslaufmöglichkeit mehr gebaut werden dürfen. Bestehende
Voraufzuchtställe ohne Grünauslaufmöglichkeit sollen noch bis 31.12.2030 betrieben werden dürfen. Wir haben auch eine Initiative gestartet für die Einführung von Regeln für die Jungtierphase in die Öko-Verordnung, denn es ist fachlich nicht gerechtfertigt, dieselben Auslaufflächen bei Voraufzuchten wie für adulte Tiere zu haben. Ob sich diese Initiative durchsetzen kann, ist allerdings noch nicht absehbar.


Bewuchs und Nutzung des überschüssigen Aufwuchses, Einschränkungen der Auslaufgewährung aufgrund von Bodenverhältnissen und Auslaufmanagement: Die Auslaufflächen können mehrfach genutzt werden, zum Beispiel durch Beweidung mit anderen Tieren als Schutz vor Beutegreifern. Eine Beschränkung der Auslaufzeit aufgrund der Bodenart ist nicht zulässig, nur vorübergehende Witterungsbedingungen können dies rechtfertigen. Die Auslauffläche sollte mit Bäumen oder Gehölzen
bewachsen sein, die Schatten und Schutz bieten. Insbesondere bei Gehölzen ist eine Anpflanzung mit dem Ziel der Beerntung möglich. Freigelände für Geflügel muss überwiegend mit unterschiedlichen Pflanzen bewachsen sein (auch wenn man eine PV-Anlage im Auslauf betreiben möchte). Es sind mindestens 50 Prozent Vegetationsdecke sicherzustellen.

Auslegung Junggeflügel: Verwendung nichtökologischer Eiweißfuttermittel
Bekräftigt wurde in dem neuen Geflügelpapier die Definition von Junggeflügel. Konventionelles Eiweißfutter darf für Junggeflügel verwendet werden, wenn ökologisches Eiweißfutter nicht verfügbar ist. Dies gilt für Tiere der Art Gallus gallus unter 18 Wochen und für Jungmastgeflügel bis zum Eintritt der Geschlechtsreife.

Gastautor:in

Michael Däuber, Annette Alpers, Tanja Barbian und Peter Röhrig

Die Autor:innen sind Mitglieder im BÖLW-Fachausschuss Geflügel.