“Mit meinem Kassenbon stimme ich für ein anderes System”

Von Ronja Zöls-Biber | Gepostet am 05.08.2024

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Stephan Paulke war Chef der basic AG und hat als dieser das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft mitgegründet. Im Interview spricht der Geschäftsführer der EgeSun GmbH über die Untrennbarkeit von Bio und Politik, die Chancen der Bio-Branche zur Positionierung und warum dies ihre Aufgabe ist.

Stephan Paulke

Mitgründer Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft

Herr Paulke, würden Sie sich als politischer Mensch bezeichnen?
Ja, denn ich denke, wenn man einmal Kinder in die Welt gesetzt hat, kann es einem nicht mehr egal sein, was auf der Welt passiert. Durch meine beiden Kinder hat sich meine Motivation zum Engagement sicherlich verstärkt.

Sie sind zweiter Vorsitzender des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und haben dieses auch mitgegründet. Wie kam es dazu?
Ich war sehr begeistert von der sogenannten „Urinale“, bei der 2015 mehr als 2000 Teilnehmende ihren Urin auf Glyphosatrückstände prüfen ließen. Da 99,6 Prozent der untersuchten Proben belastet waren, folgten Untersuchungen der Luft, die ebenfalls niederschmetternde Ergebnisse lieferten. Unsere Vereinsgründung fiel dann zusammen mit der Glyphosatverlängerung in der EU. Damals war ich noch bei der basic AG, und gemeinsam mit Johannes Heimrath von der Bürgerinitiative Landwende und Niels Kohlschütter von der Schweisfurth Stiftung luden wir sämtliche Wettbewerber:innen und Lieferant:innen ein und stellten ihnen eine Studie vor, bei der Baumrinden als Indikatoren für Ackergifte untersucht werden sollten. Die Laborkosten dafür betrugen mehr als 200.000 Euro. Ich sagte damals: „Wenn Ihr nicht mitmacht, platzt das Projekt. Und sagt bitte nicht, dass Ihr kein Geld habt!“ Alle haben geholfen – und damit war das Bündnis gegründet.

Wie sieht aktuell Ihr Engagement aus?
Wir kümmern uns vor allem um die systematische Benachteiligung von Bio-Betrieben im Bereich der Pestizide sowie um die negativen Auswirkungen von Pestiziden auf Menschen. In Europa haben wir schlechte Zulassungsverfahren. Auch Pestizide, die sich aggressiv über die Luft ausbreiten, sind im Einsatz. So wird etwa Glyphosat als Feststoff definiert, der sich angeblich über die Luft nicht ausbreitet. Tatsächlich haben wir an allen unseren 163 Messstellen immer Glyphosat gefunden, sogar auf dem Brocken. Dabei ist die Verursacherhaftung ausgeschaltet. Solche Studien und entsprechende Veröffentlichungen werden leider sogar von der EFSA (Anmerkung der Red.: Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) ignoriert. Daher setzen wir unsere Energie vermehrt in Klagen gegen technische Verlängerungen, die ja in Europa an der Tagesordnung sind. Auch für einen Schadenausgleichsfond, der Pestizidhersteller in die Verantwortung nehmen soll, treten wir gemeinsam mit anderen Organisationen wie dem BNN ein.

Bio war einmal eng verknüpft mit einer politischen Haltung. Warum ist das tendenziell verloren gegangen?
In der Bio-Branche haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschärft. Viele Firmen haben seit dem Ukraine-Krieg zu kämpfen. Seitens der Regierung wurden Ängste geschürt, die sich in Form von Kaufzurückhaltung mächtig auswirkten. Für die Händler:innen kamen steigende Energie- und Mietkosten hinzu, so dass es am Ende sogar zu bedauerlichen Insolvenzen kam. Dass in einer solchen Situation Engagement zurückgefahren wird, ist nachvollziehbar.

Wir kümmern uns vor allem um die systematische Benachteiligung von Bio-Betrieben im Bereich der Pestizide sowie um die negativen Auswirkungen von Pestiziden auf Menschen.

Wäre es eine Chance für Bio, wieder mehr zu einer politischen Bewegung zu werden?
Natürlich, denn Bio und Politik sind untrennbar miteinander verbunden. Beim Kauf von Bio-Lebensmitteln stimme ich mit meinem Kassenbon für ein anderes System. Solange Reserve-Antibiotika in der Geflügelmast eingesetzt werden und Menschen an multiresistenten Keimen sterben, ist es die Aufgabe der Bio-Branche, Bewusstsein dafür zu schaffen. Darüber hinaus müssen wir uns dafür einsetzen, strukturelle Benachteiligungen in den Preisen von Bio-Produkten zu korrigieren, um die Preise günstiger und für mehr Menschen erschwinglicher zu machen. Diese Aufforderung gilt auch für die Bio-Verbände.

Wie kann sich der Bio-Fachhandel überhaupt positionieren, wenn LEH und Discounter ihr Mehr an Ressourcen in Nachhaltigkeitsprojekte setzen?
Das Geheimnis liegt in der Klarheit und Schärfe der Positionierung. Es macht einen Unterschied, ob ich kommuniziere: „Ich habe auch Bio-Produkte“. Oder: „Ich will grundsätzlich überhaupt keine Pestizide“ oder „Wir wollen überhaupt keinen Einsatz von Reserve-Antibiotika in der Geflügelhaltung“.

Warum sollten sich wieder mehr „Ökos“ politisch engagieren?
Wer die Bauernproteste in diesem Jahr verfolgt hat, hat gemerkt, dass es alles andere als einfach ist für die Bäuerinnen und Bauern. Auch für die Menschen, die auf konventionellen Betrieben arbeiten, sind die Pestizide schlecht. Es gibt einen Grund dafür, warum sich Konventionelle oft einen Bio-Garten für den Eigenverbrauch zu Hause anlegen. Bauernfamilien sollen verantwortlich mit unseren Lebensgrundlagen umgehen, sollen Böden und Arten erhalten. Das muss aber gewürdigt und honoriert werden. Sie sollen die Tierhaltung verbessern und gleichzeitig im globalen Preiswettbewerb bestehen. Unter diesen Voraussetzungen haben sie keine Chance! Und damit sind wir wieder in der Politik. Ohne Anpassung der politischen Bedingungen wird es künftig kaum zu mehr Umstellungen auf Bio kommen.

Was ist Ihr Ziel?
Ich würde mir wünschen, dass sich alle Bio-Betriebe, die meine Sicht teilen, im Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft engagieren. Dazu lade ich alle ein, uns bei der Arbeit zu unterstützen. Aktuelles Ziel ist, die technische Verlängerung des Pestizids Pendimethalin zu verhindern. Um eine Klage einreichen zu können, sammeln wir hierzu gerade auch Spenden.

Hier findet Ihr alle Infos zum Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft.

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Ronja Zöls-Biber

Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit / Redaktionsleitung BioNachrichten