Respektvoll bis zum Schluss

Von Iuliia Bydanova | Gepostet am 23.04.2024

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Biokreis engagiert sich für eine stressfreie Schlachtung.

Jeder, der eine Verbindung zu einem Tier hat, entscheidet darüber mit, ob dem Tier bis zu seinem Tod ein stressfreies Leben möglich ist. In den letzten Jahren ist die Anzahl der Artikel zu Tierschutzskandalen in den Schlachthöfen wegen Verstößen gegen den Tierschutz und wegen Tierquälerei gestiegen. Häufige Tierschutzprobleme betreffen die unzureichende Betäubung sowie fehlende oder abgelaufene Befähigungsnachweise für Schlachthofpersonal und Tierschutzbeauftragte.

Es ist bekannt, dass die EU-Öko-Verordnung keine konkreten Anforderungen für Schlachtungsprozesse vorschreibt. Daher hat der Biokreis sich 2022 auf den Weg gemacht, um eine Weiterentwicklung des Schlachtstandards für Biokreis-Betriebe zu fördern. Dabei beschäftigen uns Fragen wie: Welche Standards und welche Qualitätsentwicklung sind wichtig, um dem Tier ein gutes Leben bis zum Tod zu gewähren? Wie sind diese Standards mit dem Fokus auf Tierschutz und Tierwohl zu kontrollieren? Wie tragen wir dazu bei, fehlende Strukturen aufzubauen? – Erstrebenswert sind aus unserer Sicht klare Vorgaben für Schlachtunternehmen, eine kompetente Beratung sowie die Förderung der handwerklichen Schlachtung und Verarbeitung in regionalen Strukturen.

Ein Meilenstein für qualitätsorientierte Standards wurde 2023 mit der Anpassung der Biokreis regional & fair-Richtlinien vorgenommen. So müssen Betriebe mit Biokreis regional & fair-Zertifizierung, die Fleisch- und Fleischerzeugnisse verarbeiten und vermarkten, seit diesem Jahr zusätzliche strengere Kriterien erfüllen:

  • Die Wegstrecke der lebenden Tiere zum Schlachthof darf maximal 150 Kilometer betragen.
  • Schweine dürfen ausschließlich mit Elektrobetäubung betäubt werden. Die Betäubung mit Bolzenschuss oder mit Kohlendioxid ist verboten.
  • Die Tiere dürfen nur auf einem Biokreis-Vertragsschlachthof oder auf einem Schlachthof nach Biokreis-Richtlinien (sowohl Verarbeitung „Fleisch und Fleischerzeugnisse“ als auch Biokreis regional & fair) geschlachtet werden.

Darüber hinaus wollen wir im Biokreis weiter die Schlachtung zum Thema zu machen. Angedacht sind ein Leitfaden zur Schlachtung sowie Austausch- und Vernetzungstreffen, bei denen positive Ansätze weiterentwickelt werden können.

Kompetente Menschen sind entscheidend für eine schonende Behandlung der Tiere

Bei unserer Auseinandersetzung mit dem Thema Schlachtung, beim Besuch verschiedener Schlachtstätten und in Gesprächen mit den Menschen ist uns eines immer klarer geworden: Um eine tierwohlgerechte Schlachtung zu gewährleisten, ist geschultes Personal unabdingbar, das insbesondere bei der Betäubung der Tiere keinem Zeitdruck ausgesetzt ist und sich entsprechend mit Ruhe und Gelassenheit jedem einzelnen Tier mit seinen individuellen Bedürfnissen widmen kann. Alle Personen, die im Unternehmen für die Schlachtung Verantwortung tragen, sollten aktiv in die Umsetzung der tierwohlorientierten Schlachtung einbezogen werden.

Entscheidend ist aber die Einstellung der verantwortlichen Personen in einem Unternehmen zum Thema Tierwohl: Die Haltung der Geschäftsführung wirkt sich direkt auf die Qualität der Schlachtprozesse aus. Zu berücksichtigen sind dabei zum Beispiel der Zutrieb der Tiere zur Betäubung, die Tiergesundheit, die Verhaltensweisen der Tierarten, die Wahrnehmung und das Wohlergehen der Tiere. Dazu sind jährliche Schulungen des Personals empfehlenswert, die den stressfreien Umgang mit Tieren und den Tierschutz zum Inhalt haben, sowie eine:n Tierschutzbeauftragte:n an jedem Schlachthof, der für tierschutzorientiertes Schlachten sorgt.

Erstrebenswert sind aus unserer Sicht klare Vorgaben für Schlachtunternehmen, eine kompetente Beratung sowie die Förderung der handwerklichen Schlachtung und Verarbeitung in regionalen Strukturen.


Bei der Betäubung der Tiere und der Entblutung bis zum Eintritt des Todes sollte das Personal möglichst frei von Zeitdruck und Stress arbeiten können. Ein ruhiges Tier bewegt sich im Vergleich zu aufgeregten Tieren leichter. Manche Tiere brauchen einige Zeit, um sich zu beruhigen. Diese Zeit sollte ihnen in allen Schlachtprozessen gegeben werden. Unter Bedingungen der Akkordarbeit ist tierschutzkonformes Schlachten nicht zu leisten. Die Schlachtunternehmen, ob sie in kleinen oder auch in großen Strukturen arbeiten, sollten zudem über ein Eigenkontrollsystem für alle Schlachtprozesse verfügen. Zudem muss jeder Schlachthof über gute Geräte in einwandfreiem Zustand verfügen.

Die Natur des Tieres verstehen

„Menschen, die Tiere halten oder mit ihnen arbeiten, sollten sich auch Gedanken über deren Gefühle machen, denn Tiere haben dieselben Basisemotionen wie wir.“ In ihrem Buch „Ich sehe die Welt, wie ein frohes Tier“ beschreibt Temple Grandin, US-amerikanische Wissenschaftlerin und Beraterin für Schlachtbetriebe, die Wahrnehmung und Natur verschiedener Tierarten. Ihre Erkenntnisse, die sie über Jahre auf großen Schlachthöfen durch eine intensive Beobachtung des Verhaltens der Tiere gesammelt hat, können helfen, die Abläufe um die Schlachtung tiergerechter zu gestalten.

Bei Rindern sollte man beispielsweise berücksichtigen, wie die Wahrnehmung der Tiere funktioniert. Rinder verfügen über eine eindimensionale Rundumsicht, hohe Lichtempfindlichkeit und ein gutes Gehör. Sie mögen keine Reflexionen oder Hindernisse und reagieren mit Stress, wenn sie zum Gehen gedrängt werden. Entsprechendes Wissen über die Handhabung von Tieren und der Einsatz von Low-Stress-Stockmanship-Techniken können den Umgang mit den Tieren im Schlachtbetrieb deutlich effizienter und ruhiger gestalten. Das wirkt sich letztendlich auch positiv auf die Fleischqualität aus.

Der Biokreis favorisiert, wann immer möglich, die Zusammenarbeit mit kleineren Schlachtbetrieben in der Region. Dadurch werden handwerkliche Betriebe unterstützt, die in regionalen Strukturen arbeiten. Sie sorgen für regionale Wertschöpfung und Vielfalt. Welche Schlachtstätte gewählt wird, ist nicht immer Sache des tierhaltenden Betriebs, aber wenn die Betriebsleitung die Wahl hat, empfehlen wir, sich ein persönliches Bild vom Schlachtbetrieb zu machen. Dabei ist darauf zu achten, wie man mit den Tieren umgeht, welche Betäubungspraktiken angewendet werden oder welches Verständnis von Tierschutz besteht. Respektvoll bis zum Schluss – das ist das oberste Ziel.

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Iuliia Bydanova

Iuliia Bydanova arbeitet in der Biokreis-Qualitätssicherung und betreut vor allem die Verarbeitung tierischer Produkte.