Der Tracht hinterher

Von Eddie Obika | Gepostet am 08.11.2023

Like and share

Auf WhatsApp teilenAuf LinkedIn teilen

Möglichkeiten für den Ertragsausgleich in heißen Zeiten.

Die Welt der Bienen ist im Wandel. Milde Winter und heiße Sommer gehören mittlerweile zur neuen Normalität. Ich kann mich noch gut an Schneeballschlachten und Eisstockschießen auf gefrorenen Seen in meiner Kindheit erinnern. Wir nahmen damals die Jahreszeiten noch viel intensiver wahr als die Kinder heutzutage. Nicht nur wir Menschen spüren die Veränderungen, die Insektenwelt ist ihnen gnadenlos ausgesetzt. Extremwerte im Sommer, die über Wochen anhalten, und andere Temperaturverläufe bringen den Rhythmus von Bestäuberinsekten durcheinander. Aber auch der Vegetationsablauf ist hiervon beeinflusst, und so müssen Imker:innen bei Honigbienen ein besonderes Hauptaugenmerk auf die Volksentwicklung im Frühjahr nehmen.

Der phänologische Kalender für die Imkerei begann mit den Obstbäumen. Die ersten Trachtoptionen in chronologischer Reihenfolge waren Kirsche, Pflaume, Birne, Apfel und Ahorn. Man konnte diese Trachtquellen zum Aufbau der Bienenvölker nutzen, um in die erste Massentracht, den Raps, zu wandern. Mittlerweile werden die Karten neu gemischt, und der Raps blüht oft zeitgleich oder sogar vor den Obstbäumen. Aufgrund der milden Winter entwickelt sich der Kreuzblütler schneller und steht dadurch immer früher in den Startlöchern. Auch der Austrieb von Blättern, die Blüten und die Fruchtreife setzen viel früher ein, und wenn es dann noch zu langen Trockenphasen kommt und Regen länger ausbleibt, geben die Blüten auch nur wenig Nektar ab. Dieser Wandel hat zur Folge, dass unsere Honigbienen diese Trachtquellen nicht mehr vollständig nutzen können.

Trachtlückenfreies Imkern

Als Bio-Imker ist für mich das Tierwohl besonders wichtig. Meine Bienenvölker sollen nicht hungern müssen und sich gut mit Nektar, Pollen und Honigtauquellen versorgen können. Ein wichtiger Aspekt in meiner Völkerführung ist das trachtlückenfreie Imkern. Je mehr Trachtquellen ich meinen Bienenvölkern zu Verfügung stelle, desto stärker, gesünder und vitaler gehen sie durch die Saison und in die Behandlungsphase gegen die Varroamilbe. Mit gesunden Bienenvölkern kann man den Saisonverlauf nutzen, um Ableger zu bilden, Wachs zu gewinnen und Honig zu ernten.

Wenn ich nach Obstblüte, Löwenzahn und Raps in eine Trachtlücke komme, geben mir Stadtparks neue Trachtquellen wie Robinie, Heidelbeere, Sumpfdotterblumen und Klee.

Wenn die Tracht am Bienenstandort ausbleibt, muss ich als Imker wandern. Welche Optionen bieten sich hier an? Wenn ich nach Obstblüte, Löwenzahn und Raps in eine Trachtlücke komme, geben mir Stadtparks neue Trachtquellen wie Robinie, Heidelbeere, Sumpfdotterblumen und Klee. Zeitgleich stehen in Biergärten viele Rosskastanien, die gute Nektarwerte, Pollen und sogar Honigtau bieten können. Der Hochsommer rundet das Nahrungsangebot weiter ab. Es blühen Linden, Lavendel und Heckenpflanzen wie der Liguster.

Die Linden können mehrere Wochen honigen und teilen sich zwischen Sommer- und Winterlinde auf, die in unterschiedlichen Zeitperioden Nektar abgeben. Bei der Linde ist auch Honigtau möglich. Wer unter einer Linde geparkt hat, hat nicht selten einen klebrigen Belag auf dem Auto, oft Ausscheidungen von Blattläusen. Sie trinken nämlich den Saft aus den Blättern der Linde und geben dann eine zuckrige Flüssigkeit ab: den Honigtau. Die Bienen nehmen den Honigtau der verspritzten Blätter auf, und aus dem Zusammenspiel zwischen den Lindenblüten und Honigtau entsteht der leckere Lindenblütenhonig – eine schöne Bescherung zum Saisonende, denn nach der Linde ist in der Stadt das Nahrungsangebot meist beendet.

Mit der Landwirtschaft kooperieren

Eine für mich sehr gute weitere Option ist die Kooperation mit Landwirt:innen. Auch die Landwirtschaft reagiert auf das Klima, und auf den Bewirtschaftungsplänen finden sich neue trockenheitsresistente Exoten wie Quinoa oder Kichererbsen, aber auch Buchweizen und Wildkräuter sind im Kommen; alles Kulturen, die auch für Insekten interessant sind. Während Quinoa nur wenig Nektarwerte bietet, trumpft diese Kultur mit hochwertigen energiereichen Pollen auf. Hier werden meine ersten Ableger platziert, die sich sehr gut über den Sommer aufbauen können.

Eine weitere gute Trachtpflanze, die sich durch ihr langes Wurzelwerk immer ausreichend mit Wasser versorgen kann, ist die durchwachsene Silphie. Sie ist eine Sonnenblumenart, blüht von Juni bis weit in den September hinein und schafft es, aus den schwächsten Völkchen richtig starke überwinterungsfähige Völker zu machen. Buchweizen und Sonnenblumen sind Spätblüher und können zum Saisonabschluss, auch noch nach der Varroabehandlung, zur Honiggewinnung oder als Winterauffütterung genutzt werden. Beide Sorten eigenen sich hervorragend als Überwinterungsfutter. Wer Spättrachten für die Honiggewinnung nutzen möchte, muss allerdings ein gutes Behandlungskonzept in seiner Betriebsweise haben. Eine Brutentnahme eignet sich zum Beispiel hervorragend dafür.

Biokreis-Imkereiberater Eddie Obika und seine Bienen. Bild: Sizzerbees

Zu Gast in der Stadt

Eine weitere wichtige Frage ist: Wie komme ich an ertragreiche Standplätze? Es ist erstmal wichtig, einen lukrativen Standplatz zu finden und als „gut“ einzustufen. Die Trachtpflanzen müssen dort ausreichend zu Verfügung stehen, und am besten sollte der Standort auch über eine nahe gelegene Wasserquelle verfügen. Für die Stadtparks, Robinien- und Lindenalleen kann man sich an die Gemeinden wenden. Hier sind Bienenvölker meist sehr gern gesehene Gäste, und es gibt oft schon Aufstellbereiche. Manche Alleen grenzen allerdings an landwirtschaftliche Flächen an. Hier am besten mit offenen Augen durch die Gegend fahren, an nahen gelegenen Häusern klingeln oder Landwirt:innen vor Ort fragen, denn ihnen gehören oft auch Seitenstreifen an Feldern, die an Alleen gelegen sind. Oft wissen sie, wem das besagte Grundstück gehört oder können weitere Optionen in der Nähe vorschlagen.

Auch Flachdächer eignen sich als Standorte und werden in der Bauplanung immer beliebter. Viele Firmen und Hotels befinden sich in diesen modernen Würfelbauten. Sie lassen sich schneller umsetzen, sind wirtschaftlicher, und die Oberfläche wird häufig begrünt: ideale Voraussetzungen für einen Bienenstandort. Hier kann man die Hausverwaltung der einzelnen Immobilie anfragen, denn auch hier freut sich die Objektleitung und postet sogar in regelmäßigen Abständen die neuen Mitbewohner auf den Social-Media-Kanälen. Die Bienenvölker können dort auch mitten in der Stadt relativ ungestört vom Flachdach ihre Blüten anfliegen, um die Vorratskammern zu befüllen und kommen mit hochfrequentierten Marktplätzen, Universitäten und Schulen, Bahnhöfen und Bushaltestellen kaum in Kontakt.

Die durchwachsene Silphie ist speziell für Biogasanlagen eine gute Alternative zum Mais und wird immer beliebter. Hier empfiehlt es sich, bei Biogasanlagen-Betreibern anzufragen. Es ist aufwändig und zeitintensiv, mit Bienen zu wandern. Ein Fahrzeug mit Anhänger und gegebenenfalls eine Hebehilfe zum Positionieren der Bienenvölker machen es leichter, gehen aber ins Geld. Der Aufwand lohnt sich allerdings, denn wenn für die Bienenvölker die Voraussetzungen für konsequenten Nektarfluss geschaffen sind, ist der Bienenstock während des gesamten Saisonverlaufs gesünder, stärker und vitaler. Der zusätzliche Bonus: vollere Honigräume, die in heißen Zeiten bei festen Standplätzen bedauerlicherweise leer bleiben können.

Profilbild

Eddie Obika

Eddie Obika ist bundesweiter Imkereiberater im Biokreis.