Kreative Weidewirtschaft

Kühe auf der Weide



Biokreis-Berater und -Landwirt Sebastian Weber berichtet:
„Seit dem Einleiten des Pilotverfahrens gegen Österreich im Jahr 2019 beschäftigt uns die Weidevorgabe auch hier in Deutschland. Trotz der langen Zeit, in der wir uns mit dem Thema beschäftigen, sind die konkreten Umsetzungsvorgaben erst nach dem Abschluss des Pilotverfahrens in Deutschland zum Jahreswechsel bekannt gegeben worden. Damit fällt die Umsetzung der Weidepflicht mit dem neuen Antragszeitraum für das Kulturlandschaftsprogramm zusammen.
Für Bio-Betriebe gilt ab sofort: Allen Pflanzenfressern (Rindern, Schafen, Ziegen und Equiden) im Betrieb muss während der Weidezeit Zugang zu Weideland gewährt werden. Betriebe, die bisher die Weide nicht umsetzen konnten, müssen 2025 ein Weidekonzept erstellen und mit der Umsetzung der Weide beginnen. Die vollständige Umsetzung der Weide muss 2026 erfolgen. Damit müssen wir im Jahr 2025 entscheiden, wie es mit unserem Betrieb weiter geht. Ist eine Weide möglich? Mit welchem Aufwand? Und sind wir bereit, diesen Aufwand, Zeit und Geld zu investieren, um weiter ökologische Landwirtschaft betreiben zu können?
Auch eine kleine Weide kann Bewegungsweide sein.
Wie auch Ihr dem Schreiben Eures AELF oder der Kontrollstelle entnommen habt, brauchen wir alle ein Konzept für die Umsetzung der Weide im Betrieb. Dieses haben wir im Familienkreis erstellt und bei unserer Kontrollstelle eingereicht. Beim Erstellen des Konzepts überlegten wir für die einzelnen Tiergruppen, wie jeweils die Weide umgesetzt werden kann. Wir haben uns gefragt: Welche Tiergruppen brauchen am meisten Betreuung? Diese sollten möglichst hofnah auf die Weide gehen können. Die Betreuung der Tiere und die Versorgung, etwa mit Zusatzfutter, soll nicht zu aufwändig werden. Daneben gibt es auch Tiergruppen, die man gut an Aufzuchtbetriebe oder Almen abgeben kann.
Die größte Herausforderung bei uns ist aber die Weide mit Melkroboter. Ein Treiben der Gesamtherde ist aufgrund von Melkzeiten nicht so einfach möglich – aber auch nicht unmöglich. Einige findige Betriebe haben mit ihrem Melkroboter-Techniker und einer vergrößerten Separationsbox die Möglichkeit geschaffen, Weidegruppen einzurichten. Das bedeutet: Tiere, die am Ende der Laktation sind, werden nach dem Melken wegsortiert und auf eine entferntere Weide getrieben, so dass die Tiere mit viel Milch an der Stallweide bleiben können und großteils von der Stallration ernährt werden. Auch eine kleine Weide kann Bewegungsweide sein. Durch den Einsatz eines Weidetors lässt sich auch der Weideaustrieb steuern und regulieren, so dass etwa Tiere, die viel Milch geben, nur zu bestimmten Zeiten auf die Weide dürfen, um sie vor Hitzestress zu schützen.“

Weide kann auch eine Erleichterung sein
Flächen, die technisch nicht gut oder nur mit sehr viel Handarbeit zu bewirtschaften sind wie Streuobstanlagen oder steilere Hänge, sind ideale Weiden für Trockensteher. Sie bieten ausreichend Schatten und eine gute und einfache Futtergrundlage.
Teure Stallneubauten können mit Weidehaltung umgangen werden.
Weide als neue Einkommensalternative
Gemeinden und Naturschutz-Verbände suchen immer wieder Betriebe, die Ausgleichsflächen und Grünflächen pflegen. Honoriert wird dies beispielsweise über das Vertragsnaturschutzprogramm.
Jungvieh und Weide
Die aktuelle Regelung schreibt vor, dass Kälber und Jungvieh bereits ab vier Wochen nach dem Abtränken Weidezugang erhalten müssen. Idealerweise können die jüngeren Tiere für die tägliche Kontrolle und einfacheres Management in unmittelbarer Stallnähe weiden, doch dies ist leider nicht für alle Betriebe möglich. So müssen oft alle oder ein Teil der Jungtiere auf hofferne Flächen zur Weide. Eine Alternative oder Ergänzung dazu ist die Auslagerung von Jungvieh auf Pensionsbetriebe oder Almen beziehungsweise Alpen. Auf unseren Biokreis-Betrieben finden alle drei Varianten Anwendung.
Ein paar Beispiele:
Kälber und Jungvieh auf hoffernen Flächen
Bei Familie Schußmann (Oberbayern) wird das Jungvieh „immer schon“ auf eine hofferne Sommerweide ausgelagert. Auf sechs Hektar Mähweide verbringen 12 bis 14 Stück Jungvieh ab vier Monaten die Weidesaison. Die Fläche ist für die unterschiedlichen Altersgruppen in Teilschläge unterteilt und wird als Umtriebsweide bestoßen. Zwischendurch werden Teilflächen gemäht, um den Parasitendruck gering zu halten und für einen guten Aufwuchs zu sorgen. Die Kälber ab vier Monaten haben zum Schutz einen eigenen Unterstand, die älteren Tiere können unter Bäumen oder den Futterraufen unterstehen.
Um das Ausbruchrisiko der Tiere möglichst gering zu halten, hat Familie Schußmann mehrere Strategien, die sie auch weiterempfehlen kann.
a) Die Kälber werden spätestens mit drei Monaten am Hof an Zaun, Litze und Weide gewöhnt – das A und O für Familie Schußmann, denn „sonst sind die Tiere auf der Weide weg“.
b) Außen um die Gesamtfläche einen festen Zaun errichten; die Einzelflächen können dann einfach mit Stecken und Litze abgegrenzt werden. Beim Weidezaungerät sollte dann nicht gespart werden. Es ist idealerweise mit Sonnenkollektoren betrieben, um eine dauerhafte Stromversorgung zu gewährleisten.
c) Die Tiere nicht zu knapp mit Aufwuchs versorgen, denn Hunger erhöht das Ausbruchrisiko und schädigt zudem die Grasnarbe durch die daraus resultierende erhöhte Bewegungstätigkeit der Tiere; ebenso wichtig ist eine ausreichende und qualitativ hohe Wasserversorgung.
d) Zufütterung auf der Weide wird zwar oft kritisch gesehen, ist für Familie Schußmann aber sowohl Ausbruch-Absicherung als auch eine Förderung der Tiergesundheit. In den selbstgebauten, überdachten Futterraufen wird ständig Heu guter Qualität angeboten. Hier gibt es immer etwas zu fressen, was von den Tieren als Ergänzung zum Gras sehr gern angenommen – und von Familie Schußmann eben auch als positiv für die Tiergesundheit angesehen wird. Einziger Nachteil: Wenn die Raufe immer am gleichen Platz steht, wird der Bereich darum herum schnell zum Acker.
e) Die tägliche Kontrolle ist nicht nur vorgeschrieben, sondern auch Ausbruch-Absicherung. Kontrolliert werden sollten Zaun, Aufwuchs, Futtermenge, Wasser, Tiergesundheit, Brunst, eventuelles gegenseitiges Besaugen.
f) Für den Fall, dass doch mal Tiere ausbrechen sollten, hat Familie Schußmann immer ein paar Tiere pro Gruppe mit einer Glocke ausgestattet – damit die Tiere schneller wieder gefunden werden könnten.
Zudem raten die Schußmanns dazu, das Jungvieh auf guten Böden weiden zu lassen – nicht auf schlechten oder gar nassen Standorten. Dies wirkt sich positiv auf das Eindämmen von Parasiten und die gesunde Entwicklung der Tiere aus – und das Jungvieh kommt mit bester Kondition im Herbst wieder zurück in den Stall. Ebenfalls unerlässlich auf der Weide: der (Natur-)Salzleckstein und Mineralfutter. Hier wendet Familie Schußmann eine Leckschale mit natürlichen Wirkstoffen zur Abwehr von lästigen Fliegen und Bremsen an.
Jungvieh an Pensionsbetriebe auslagern
Auf dem Milchviehbetrieb Hoiß (Oberbayern) wird das komplette Jungvieh ab vier Monaten ganzjährig auf zwei Pensionsviehbetriebe ausgelagert. Der Betrieb kooperiert mit Landwirt:innen, die mit der Milchviehhaltung aufgehört haben, aber noch weiterhin Tiere halten möchten. Somit profitieren beide Betriebe sehr von dieser Kooperation. Bei der Auslagerung von Jungvieh sollten jedoch einige Punkte berücksichtigt und vorab zwischen beiden Parteien vertraglich geklärt werden. Ein gutes Miteinander und Auskommen sowie Vertrauen und Zuverlässigkeit sind dabei wichtige Grundlagen. Grundsätzlich gibt es zwei Varianten der Auslagerung: entweder mit Futtertagegeld oder mit Verkauf und Rückkauf der Tiere. Die LfL Bayern hat für beide Varianten Musterverträge online gestellt sowie weitere Tipps zu Ermittlung der Tagessätze. Diese sind zu finden unter www.lfl.bayern.de/iba/tier/062619/index.php.
Familie Hoiß ist sehr zufrieden mit der Jungviehauslagerung. Diese entlastet nämlich die junge Familie in punkto Arbeitskräfte, Flächenbedarf und Stallplatzbedarf. Dafür konnte in den vorhandenen Stallgebäuden durch Umbau des ehemaligen Anbindestalls ein Laufstall mit AMS für die Milchkühe geschaffen werden – ein teurer Stallneubau also somit umgangen werden. Die beiden Pensionsbetriebe arbeiten sehr zuverlässig, kümmern sich hervorragend um die Tiere und übernehmen die Weidegewöhnung der Jungtiere – eine absolute Arbeitserleichterung für Familie Hoiß. Das weiß die Familie sehr zu schätzen, denn sie haben anfangs auch schlechte Erfahrungen mit Pensionsbetrieben gemacht. Daher kann der Betrieb auch folgende hilfreiche Tipps an andere Landwirt:innen weitergeben: Bei der Suche nach einem sehr guten Pensionsviehbetrieb sollte man geduldig sein und sich von Misserfolgen nicht beirren lassen. Zudem ist es ratsam, den Pensionsbetrieb vorab zu besuchen, die Gegebenheiten vor Ort zu besichtigen und sich gegenseitig persönlich kennen zu lernen. Wichtig ist auch zu erfragen, warum denn Pensionsviehplätze vergeben werden und sich die Kontaktdaten etwaiger ehemaliger Kooperationspartner geben zu lassen, um bei den vorherigen Einstallern nachzufragen, ob sie zufrieden mit dem Pensionsviehbetrieb waren und warum sie ihre Tiere nun nicht mehr dorthin abgeben. So lässt sich die Qualität des Pensionsbetriebs viel besser einschätzen. Je schlechter die Aufzucht, desto höher wird das Erstkalbealter und desto höher werden gerade beim Futtertagegeld die Auslagerungskosten.
Was muss ich bei der Auslagerung von Jungvieh bezüglich der EU-Öko-Verordnung und den Biokreis-Richtlinien beachten?
- Bio-Tiere dürfen grundsätzlich nur auf andere Bio-Betriebe ausgelagert werden, um ihren Bio-Status zu behalten.
Biokreis-Betriebe können ihre Tiere nach erfolgter Genehmigung durch unsere QS-Abteilung auch an EU-Bio-Betriebe abgeben. - Alternativ gibt es die Möglichkeit von ökologischen oder konventionellen Gemeinschaftsweiden – darunter fallen auch Almen und Alpen. Das bedeutet, dass Tiere von mindestens zwei Betrieben auf einer Gemeinschaftsfläche weiden. Was dabei konkret zu beachten ist, könnt Ihr bei Euren zuständigen Berater:innen oder Eurer Kontrollstelle erfragen.
Jungvieh auf die Alm / Alp schicken:
- Der Betrieb Strobl (Oberbayern) schickt seit 2022 einen Teil seines Jungviehs auf eine Alm. Rund 16 Rinder in einem Alter ab 16 Monaten – nur gedeckte Tiere – verbringen von Mai bis September die Weidesaison in Tirol. Anfangs wurden die Tiere von einer Spedition direkt vors Weidetor transportiert – was völlig reibungslos funktioniert hat. Mittlerweile können die Strobls jedoch einen großen Viehtransporter ausleihen und so kostengünstiger selbst ihre Tiere transportieren. Auf die Alm ist Familie Strobl über ein Inserat gestoßen, als sie nur noch für reine Sommerweide einen guten Pensionsbetrieb gesucht hat, aber im „Flachland“ nicht fündig wurde. Zudem möchte der Betrieb auch nur einen Teil seines Jungviehs auslagern.
- Die Strobls sind sehr zufrieden mit ihrer Entscheidung. Die unter Landwirt:innen zuweilen vorkommende Meinung, dass die Tiere mit schlechter Kondition wieder zurückkommen könnten, hat sich in ihrem Fall nicht bestätigt. Allerdings sind hierfür auch ein paar Aspekte wichtig:
- Die Tiere müssen weidegewohnt sein, vernünftig grasen können und sollten nicht zu jung sein, wenn sie auf die Alm kommen.
- Gewisse Schutzimpfungen sollten durchgeführt werden beziehungsweise sind (in Tirol) vorgeschrieben – hier sollte sich jeder bei seinen Almbetreibenden rechtzeitig informieren.
- Almbetreiber:in oder Senner:in müssen die Tiere gut im Blick haben und zuverlässig vor Ort sein. Auch hier ist es essenziell, sich die Alm und den Betreiber vor Ort anzuschauen – idealerweise während der Almzeit, da man hier die Tiere vor Ort auch sehen kann. Ein guter Indikator für zuverlässige, tägliche Tierbetreuung kann etwa auch sein, wenn die Betreiber:innen selbst die eigenen Milchkühe auf der Alm haben. Diese müssen schließlich täglich gemolken werden.
Julia Krauß ist im Biokreis Tierwohl-Beauftragte und verantwortlich für die Zertifizierung Erzeugung.
Katharina Loibl ist Beraterin für Oberbayern Süd, Sebastian Weber ist Berater für Oberbayern Nord
Donau-Ries, Nord-Schwaben, Unterfranken Mittelfranken und den Landkreis Landshut.