Rettet „Rettet die Bienen“ die Bienen?
„Insgesamt wurden im Rahmen des Volksbegehrens Plus über 140 Maßnahmen aufgesetzt. Rund 80 Prozent der Maßnahmen wurden bereits erledigt (…)“: So heißt es in einer Pressemitteilung des bayerischen Landwirtschaftsministeriums, die bereits im Mai 2022 an die Medien verschickt wurde. Klingt doch gut, wenn das Volk ein Gesetz erlässt, das dann auch zügig umgesetzt wird – könnte man meinen. „Unsinn“, sagt ÖDP-Landesvorsitzende Agnes Becker, Initiatorin und Beauftragte des Volksbegehrens, das 2019 von 18,3 Prozent der berechtigten Bürger:innen unterschrieben wurde.
Der Aussage von Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber müsse man die Fakten gegenüberstellen, welche ein Monitoring-Team der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen stetig sichtbar mache. So sei etwa das Ziel 30 Prozent Ökolandbau bis 2030, das mit dem Volksbegehren gesetzlich festgeschrieben ist, nicht mehr erreichbar. „Der Ökolandbau ist der Garant für mehr Leben auf Wiesen und Äckern. Um die Landwirtschaft zur Umstellung zu bewegen, ist ein Absatz zu generieren“, sagt Agnes Becker. Der Schlüssel sei hierfür die Außer-Haus-Verpflegung. „30 Prozent verbindlichen Bio-Anteil – und zwar nicht Bio oder Regional – in allen öffentlichen Kantinen würden die Zielvorgabe ermöglichen.“
Eigene Auslegung des Gesetzestextes
Christian Hierneis, Vorsitzender des Bund Naturschutz in Stadt und Landkreis München und umweltpolitischer Sprecher der Grünen Landtagsfraktion, kritisiert, dass das Volksbegehren nach den Wünschen der Staatsregierung ausgelegt wird. So sei etwa bei der Maßnahme „Gewässerrandstreifen“ das Ziel gewesen, Einträge in Gewässer zu vermeiden. Entlang der Streifen am Wasser sei jetzt jedoch nur der Anbau verboten, Düngung und Pestizidausbringung seien aber nach wie vor erlaubt.
Und bei der Maßnahme „Biotop-Netzwerk“ habe man einfach die Flächen aller schon vorhandener Biotope zusammengezählt und sei damit schnell bei 10 Prozent von 13 geforderten angelangt. „Von einem Netzwerk, in dem Arten wandern können, kann aber nicht die Rede sein“, sagt Christian Hierneis, der regelmäßig Anfragen an die Regierung zur Umsetzung des Volksbegehrens stellt. „Michaelas Milchmädchenrechnung“ nennt auch Agnes Becker den Umgang der Staatsministerin mit Zahlen. So betone diese regelmäßig, dass Bayern Spitze beim Ökolandbau in Deutschland sei. „Tatsächlich werden für diese Behauptung nur die Flächen addiert, und – oh Wunder – Bayern hat als größtes Bundesland am meisten.“
30 Prozent verbindlichen Bio-Anteil – und zwar nicht Bio oder Regional – in allen öffentlichen Kantinen würden die Zielvorgabe ermöglichen.
Agnes Becker
„Der Verlust der Biodiversität wurde nicht gestoppt“
Konnte denn auf diese Weise überhaupt eine Verbesserung für die Artenvielfalt in Bayern erreicht werden? „Der Verlust der Biodiversität wurde nicht gestoppt“, sagt Christian Hierneis ganz klar. Ein Volksbegehren reiche dafür nicht aus. Es brauche Maßnahmen auf der ganzen Fläche, die Reduktion von Versiegelung, ein strenges EU-Renaturierungsgesetz, welches aber unlängst wieder aufgeweicht wurde.
Vier Jahre nach dem Volksbegehren sei noch nicht viel messbar, sagt auch Agnes Becker, die Maßnahmen müssten über einen langen Zeitraum hinweg wirken. Doch es gibt auch konkrete Daten: Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) führte Messungen an neu entstandenen Gewässerrandstreifen durch und konnte im Vergleich zu vorher 40 Prozent mehr Insektenbiomasse erfassen. „Was das Volksbegehren bewirkt hat, ist ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung und mehr Medienpräsenz“, sagt die Politikerin. Es sei ein Vorreiterprojekt für andere. Sogar ein australischer Radiosender habe 2019 bei ihr angerufen und nachgefragt, was denn da in Bayern gerade passiere. Zudem sei viel Geld in die Landwirtschaft geflossen, in den Ökolandbau, den Streuobstpakt, in Vertragsnaturschutz- und KULAP-Programme…
Die Gegenkampagne des Bauernverbandes mit falschen Informationen über angebliche Enteignungen und Weideverbot für Rinder habe sich damit im Nachhinein als absurd erwiesen. Auch Christian Hierneis ist überzeugt: „Das Volksbegehren hat sich gelohnt. Auch wenn bisher vielleicht nur 30 Prozent der Maßnahmen durchgeführt wurden, ist das besser als nichts.“
Schwierigstes Ziel: Ausbau des Ökolandbaus
Als schwierigste aller Zielvorgaben sieht er den Ausbau des Ökolandbaus. Es brauche hierfür etwa Marketing, preisliche Attraktivität von Bio-Produkten, Beratung für die Landwirtschaft und viele weitere Anstrengungen. Thomas Lang, erster Vorsitzender der LVÖ Bayern e.V., die das Volksbegehren unterstützte: „Mit dem Volksbegehren haben die Bürgerinnen und Bürger beschlossen, dass auf knapp einem Drittel der landwirtschaftlichen Flächen in Bayern ökologisch gewirtschaftet werden soll. Damit wir das Ziel 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 erreichen, muss es in das Landesentwicklungsprogramm aufgenommen werden. Auch in den Regionalplänen sollte verankert sein, 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen als Vorrangflächen für den Ökolandbau auszuweisen.“ Zielvorgaben für die räumliche Entwicklung hält Christian Hierneis allerdings nicht für sinnvoll. Man könne Bauern und Bäuerinnen in einem bestimmten Landkreis schließlich nicht zur Umstellung zwingen.
„Keine nette Bitte, sondern ein Gesetz!“
Parteiübergreifende Lösungen finden – das sei beim Volksbegehren eine zielführende Vorgehensweise. Doch davon sei man weit entfernt. Es gebe derzeit keine regelmäßigen Treffen zwischen Michaela Kaniber und dem Trägerkreis, dem die ÖDP Bayern, der Landesbund für Vogelschutz in Bayern, Bündnis 90/Die Grünen Bayern und die Gregor Louisoder Umweltstiftung angehören.
„Sogar das Monitoring, das dem Trägerkreis jährlich zwischen 40.000 und 50.000 Euro kostet, ist schwer durchzuführen“, erzählt auch Agnes Becker. So sei es für die Forschenden schwierig, an Daten zu kommen. Dabei sei es sehr wichtig, die Fakten zu prüfen und sich nicht darauf zu verlassen, was von der Staatsregierung vorgelegt werde. „Rettet die Bienen“ sei keine nette Bitte, sondern ein Gesetz!
Doch was, wenn die Gesetzgebung und der Wille des Volkes niemals wirklich umgesetzt werden? „Rettet die Bienen“ oder der offizielle Titel „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“ war das erfolgreichste Volksbegehren Bayerns; nach Einschätzung von Agnes Becker deswegen, weil sich viele wissenschaftliche Studien zum Rückgang der Biodiversität mit dem persönlichen Erleben der Menschen deckten. „Wir können uns nur immer wieder zu Wort melden und den Druck in Erinnerung rufen“, so Agnes Becker. „Konsequenzen bei Nicht-Einhaltung gibt es nicht“, sagt Christian Hierneis abgeklärt und weiß nur eine politische Antwort: „Abwählen!“